Hellhörig für lebensfreundliche Botschaften
Das kennen wir vom biblischen Gott zwar auch. Aber dieser lässt sich gerade im Niedrigen, Armseligen, Gebrechlichen finden - auch im Gewöhnlichen, Unvollkommenen und Mittelmäßigen - ja in allem, was wir leicht übersehen oder zumindest nie mit ihm in Verbindung bringen würden. Die Gottesgeburt ereignet sich im Dunkeln, in der Nacht – und in großer Einfachheit.
Mit dem Dunkel der Nacht vertraut sein
Gott kommt in bitterer Armut zur Welt und er erscheint zuerst unter den Armen. Die Hirten - eine soziale Randgruppe - sind es, die als erste die Frohe Botschaft verkündet bekommen, die als erste zur Krippe eilen und die die wunderbar-aufregende Gottesbegegnung dann auch weitertragen und weitererzählen.
In den beiden Evangelien von der Heiligen Nacht und vom Weihnachtsmorgen spielen sie eine besondere Rolle (Lk 2,1-20). Und so will ich diesem Motiv der Hirten in den Weihnachtserzählungen einmal ein besonderes Augenmerk schenken.
Die Hirten sind damals geringgeschätzt worden. Denn sie haben sich nicht an die religiösen Vorschriften und Gesetze gehalten oder besser gesagt: sie konnten sich gar nicht daran halten aufgrund ihrer Lebensumstände. Und die Hirten haben auch keine bürgerlichen Ehrenrechte besessen: sie durften vor Gericht nicht Zeugen sein und waren für Ehrenämter nicht wählbar. Und nun sind es gerade die Hirten, die als erste angesprochen werden und die die ersten Zeugen der Menschwerdung Gottes werden!
Zur Aufgabe von Hirten gehört auch, im Dunkel ausharren zu müssen, auch in der Nacht wachen zu müssen. Im übertragenen Sinn sind sie diejenigen, die mit der Nacht, mit dem Dunklen und Geheimnisvollen des Lebens vertraut sind. Sie trauen sich in die Nacht. Deswegen sind sie wohl auch besonders hellhörig für erlösende und lebensfreundliche Botschaften. Weitere wichtige Aufgaben von Hirten sind: zusammenhalten und zusammenführen, vor Gefahren schützen und dafür sorgen, dass keine/r verloren geht.
Gott kommt in der Dunkelheit und in die Dunkelheit. Zu dieser Dunkelheit sagt er sein Ja. Weihnachten ist ein Fest in der Dunkelheit. Und wir begreifen es nicht, wenn wir nicht auch unser eigenes Dunkel annehmen: unser Leiden, unsere Schwächen, unser Scheitern, unsere Schuld, unsere Armseligkeit. Rettung, Erlösung ereignet sich in der Bibel sehr oft in der Nacht, im Dunkel.
Doch auf einmal ist da ein wundervolles Licht und Nähe und Wärme und Engelsgesang!
Die Licht- und Schattenseiten des Lebens
Auf dem Weg der Menschwerdung treffen wir immer auch auf unsere Bedürftigkeit und auf unser Dunkel. Doch gerade dorthin strahlt auch dieser göttliche Schimmer, in dessen Licht wir unser Leuchten und unsere Lebendigkeit entdecken können.
Wenn daher zu Weihnachten die Geburt des Lebens gefeiert wird, wenn es wirklich die Geburt des Lebens schlechthin ist und wir dadurch Mut zum Leben bekommen sollen und dürfen, dann ist es notwendig, dass wir das Ganze des Lebens im Blick haben.
In den biblischen Berichten von der Menschwerdung Gottes in Jesus kommen jedenfalls beide Seiten zur Sprache: die Licht- und die Schattenseiten des Lebens. Von Anfang an nämlich steht auch schon die Bedrohung über diesem göttlichen Leben.
- Da ist das göttliche Kind - und die bittere menschliche Armut.
- Da ist die neue Geburt - und der Mordbefehl des Herodes.
- Da ist die liebevolle und warme Szene im Stall - und da ist die Flucht nach Ägypten.
- Da ist das Erscheinen der Engel - und die Heimatlosigkeit in der Verfolgung.
- Da ist die himmlische Botschaft vom "Heiland der Welt" - und eine eigentlich ja sehr tragische menschliche Geschichte.
Schon in den Kindheitserzählungen Jesu wird deutlich: das verheißene Kind ist vom Anfang an auch das gefährdete Kind. Das trifft auch eine Realität unseres Lebens, nämlich dass unser Glück, unser Heilsein und Ganzsein immer auch bedroht sind.
Wir sehr berührt uns das gerade auch in unserer Zeit mit ihren vielfältigen Krisen und Bedrohungen. Wie viel Dunkel, Angst und menschliche Not begegnet uns, wenn wir die täglichen Nachrichten hören! Wie viele Menschen in unserer Welt und Gesellschaft sind oder fühlen sich bedroht in ihrem grundlegenden Bedürfnis nach einem würdigen und sicheren Ort zum Leben! Äußere oder innere Nöte rauben Hoffnung und Perspektive. Gerade in diese Lebensrealitäten hinein gilt es hellhörig zu sein für lebens- und menschenfreundliche Lösungen und Perspektiven.
Weihnachten wird der Realität unseres Lebens gerecht
Ich denke, es ist genau das, was uns so berührt an diesem Weihnachtsfest, dass es so voll und ganz der Realität unseres Lebens gerecht wird. Diese Bilder der biblischen Weihnachtserzählungen sprechen unsere Sehnsucht an, unsere Ängste und Nöte, unsere Hoffnung und unsere Enttäuschung, unseren Glauben und unseren Zweifel. Und sie wollen vor allem auch unsere Ahnung von einer anderen Welt ansprechen, die in unsere Welt einbrechen und sie verwandeln möchte.
So wünsche ich uns allen, dass uns die Bilder von Weihnachten an die Wirklichkeit unseres Lebens führen, dass sie in uns die Hoffnung wecken, dass da eine andere, eine göttliche Wirklichkeit spürbar werden kann in unserem Leben, dass wir uns in unserer tiefen Sehnsucht berührt fühlen. Denn die Weihnachtsbotschaft ist ein wunderbares Angebot unseres christlichen Glaubens für unsere Sehnsucht nach einem ganzen und erfüllten Leben.
Lassen wir uns daher zu Weihnachten anrühren - gerade auch von dem Schwachen und Armen in uns und in den Menschen, mit denen wir leben. Nehmen wir die Menschen, mit denen wir leben, an der Hand oder nehmen sie in den Arm. Und wenn wir ein gutes Wort finden, dann sagen wir ihm oder ihr das. Und wenn wir kein Wort finden, dann lassen wir unser Herz sprechen. Unser Herz hat manchmal viel feinere Töne als unsere Worte. So erleben wir die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, wie es in der zweiten Lesung der Heiligen Nacht aus dem Titusbrief heißt (Tit 2,11–14). Und dann erleben wir Weihnachten als eine Bewegung unseres Herzens.
Mag. Wolfgang Bögl, Theologischer Assistent der KMB Linz